Der Schutz geografischer Herkunftsangaben für Industrie- und Handwerkserzeugnisse

Vitus Kirchner

Auf europäischer Ebene wird mit der am 16.11.2023 in Kraft getretenen Verordnung (EU) 2023/2411 den bislang agrarisch ausgerichteten geschützten Angaben der Schutz von nicht-landwirtschaftlichen Erzeugnissen beiseitegestellt. Damit besteht ein Rechtsrahmen, der nun auch Industrie- und Handwerkserzeugnissen mit spezifischer Herkunft wie etwa Böhmisches Glas oder Holzkunst aus dem Erzgebirge einen Schutz bieten kann.

I. Bisheriger      Schutz    für    nicht- landwirtschaftlicher Erzeugnisse

Verschiedene europäische Verordnungen und Ausführungsbestimmungen in den §§ 130–136 MarkenG regelten geografische Herkunftsangaben bisher nur für landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Wein und Spirituosen.1 Für den Schutz handwerklicher Produkte wie Textilien, Möbel, Schmuck oder Glas konnte daher auf nationaler Ebene lediglich auf das Markenrecht oder das Designrecht ausgewichen werden. Diese Rechte beinhalten jedoch gerade nicht den Schutz der spezifischen Herkunft. Gegen die irreführende Verwendung von geographischen Herkunftsangaben konnte sodann nur auf Grundlage des UWG vorgegangen werden. Auch die Unionsgewährleistungsmarke sieht keinen Schutz einer auf geografi- scher Herkunft beruhenden besonderen Qualität vor (vgl. Art. 83 Abs. 1 UMV2). Deutschland hat zudem auf nationaler Ebene nicht von der Möglichkeit einer Gewährleistungsmarke für die geografische Herkunft (vgl. Art. 28 Abs. 4 der EU- Markenrechtsrichtlinie3) Gebrauch gemacht und schließt die Herkunft als schutzbgründende Eigenschaft sogar explizit in § 106a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MarkenG aus.

Teilweise wurde jedoch ein so hohes Schutzbedürfnis von regionalen Handwerkserzeugnissen  ausgemacht,  dass auch nationale Verordnungen auf Grundlage des § 137 Abs. 1 MarkenG erlassen wurden: nach der „Verordnung zum Schutz des Namens Solingen“ von 1994 und der „Glashütte-Verordnung″ von 2022 dürfen die Namen Solingen und Glashütte nur für solche Schneidwaren bzw. Uhren verwendet werden, die in diesen Her- kunftsgebieten hergestellt wurden.4

Ein umfassend geregelter und unionsweit einheitlicher Schutz von geografischen Angaben für nicht-landwirtschaftliche Produkte existierte bis dato aber nicht.

III. Der Weg zu einem gemeihsamen Rechtsrahmen auf EU-Ebehe

Die EU-Kommission stieß mit dem im November 2020 veröffentlichten Action- Plan IP5 die Verbesserung des Systems des Schutzes geistigen Eigentums in der EU an, welches „zu fragmentiert; […] zu komplex und kostspielig sowie in manchen Fällen zu unklar“ sei.6 Als eines der Maßnahmenfelder wurde die Überarbeitung der Regelungen zum Schutz geografi- scher Angaben ausgemacht. Die EU-Kom- mission kritisierte insbesondere den fehlenden einheitlichen Schutz nichtlandwirtschaftlicher geografischer Angaben, die „häufig ein wichtiger Teil der lokalen Identität sind, den Tourismus beleben, einzigartige Fertigkeiten bewahren helfen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen.“7 Außerdem wurde erkannt, dass ein effizienter Schutz geistigen Eigentums po- tenziell zu höherer Rentabilität und Attrak- tivität der traditionellen Handwerksberufe beitragen könnte. Zudem sollten die Ver- braucher durch Kennzeichnung und Werbung in die Lage versetzt werden, sach- kundigere Kaufentscheidungen zu treffen und Qualitätserzeugnisse zu erkennen. Auf diesen und weiteren Überlegungen fußt nun auch die Verordnung (EU) 2023/2411 über den Schutz geografischer Angaben für handwerkliche und industri- elle Erzeugnisse.8 Die Verordnung ist bereits am 16.11.2023 in Kraft getreten; vollumfänglich anwendbar ist die Verordnung – bis auf einige Ausnahmen bezüglich Verfahrens- und Verwaltungsnormen – allerdings erst ab Dezember 2025. Damit nimmt die EU schließlich auch eine Anpassung an die Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben von 2015 vor, in der die Möglichkeit vorgesehen ist, geografische Angaben sowohl für land- wirtschaftliche als auch für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse zu schützen.9

III. Das neue Regelungssystem der Verordnung (EU) 2023/2411

Das neue unionsweite Regelungssystem orientiert sich zum Teil an den bestehen- den Vorgaben zum Schutz landwirtschaft- licher Erzeugnisse und Lebensmittel.

So weisen auch etwa die Kriterien für die geografischen Angaben sowie das Antrags- und Schutzbewilligungsverfahren einige Parallelen auf.

1. Materielle Schutzvoraussetzungen

Die Verordnung gilt nach Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2023/241110 für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse. Solche sind gem. Art. 4 Nr. 1 Erzeugnisse, die entweder vollständig von Hand gefertigt wurden oder mithilfe von Handwerkzeugen oder digitalen Werkzeugen oder mechanischen Mitteln, vorausgesetzt, der manuelle Beitrag bildet einen wichtigen Bestandteil des Fertigerzeugnisses, oder die standardisiert – auch in Serienfertigung – und unter Verwendung von Maschinen hergestellt werden. Die Erzeugnisse müssen sodann bestimmte Kriterien erfüllen (Art. 6 Abs. 1):

a) Das Erzeugnis stammt aus einem bestimmten Ort, einer bestimmten Region o- der einem bestimmten Land,

b) eine bestimmte Qualität, das Ansehen oder eine andere Eigenschaft des Erzeug- nisses sind im Wesentlichen auf seinen geografischen Ursprung zurückzuführen, und

c) wenigstens einer der Produktions- schritte des Erzeugnisses erfolgt in dem abgegrenzten geografischen Gebiet.

Von besonderer Bedeutung ist dabei der Nachweis, dass der geografische Ursprung ein wesentlicher Faktor für eine bestimmte Qualität, das Ansehen oder eine andere Eigenschaft des Erzeugnisses ist. Dieser Nachweis könnte insbesondere in Fällen, in denen die besondere Schutzwürdigkeit in dem traditionellen Know-How der hinter den Erzeugnissen stehenden Menschen begründet ist, eine gewisse Hürde darstellen.11

Bei erfolgreicher Eintragung wird ein kollektives Recht begründet. Dieses Recht kann von allen in Betracht kommenden Erzeugern in einem abgegrenzten geografischen Gebiet, die zur Einhaltung einer Produktspezifikation bereit sind, wahrgenommen werden.12

2. Schutzbewilligungsverfahren

Antragsberechtigt sind nach Art. 8 der VO grundsätzlich die Erzeugergemeinschaften. Im Einzelfall können jedoch auch Einzelpersonen antragsberechtigt sein. Für einen entsprechenden Registrierungsantrag wird die Zuständigkeit in eine nationale Phase bei den Ämtern der Mitglieds- staaten (Art. 12 ff.) und ein Verfahren auf Unionsebene beim EUIPO (Art. 21 ff.) aufgeteilt. Der Antrag wird bei den Behörden der Mitgliedstaaten gestellt und dann an das EUIPO zur weiteren Prüfung weiterge- leitet. Während das EUIPO also eine zusätzliche Kompetenz erhält, behält die Kommission hingegen weiterhin die Zuständigkeit über die Verwaltung der geo- grafischen Angaben in Bezug auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse.

Die Verordnung ermöglicht letztlich eine einfache und kostenfreie Registrierung von geografischen Angaben und die Schutzerlangung in allen Mitgliedsstaaten mit Hilfe eines einzigen Verfahrens.13

IV. Ausblick

Die Verordnung wird erst ab Dezember 2025 vollumfänglich anwendbar sein und auch erst zu diesem Zeitpunkt sollen die Verwaltungsplattformen Glportal und Glregister zur Verfügung stehen.14 Damit können sich für Unternehmer, die hochwertige nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse produzieren oder vertreiben, neue wertvolle Schutzmöglichkeiten bieten. Indes wird die Bedeutung nationaler Rege- lungen wie die der GlashütteV oder SolingenV abnehmen. Sodann wird sich zeigen, wie das neue System in der Praxis tatsächlich aufgenommen und genutzt wird und welche Defizite im neuen Regelungssystem bestehen.

1 Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 für Weine, Verordnung (EU) 2019/787 für Spirituosen.

2 Verordnung (EU) 2017/1001.

3 Richtlinie (EU) 2015/2436.

4 Solingenverordnung – SolingenV vom 16.12.1994,   BGBl.   1994   S.   3833; Glashütteverordnung – GlashütteV vom 22.02.2022, BGBl. 2022 S. 218.

5 COM/2020/760 final, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Das Innovationspotenzial der EU optimal  nutzen,  Aktionsplan  für  Geistiges Eigentum zur Förderung von Erholung und Resilienz der EU.

6 COM/2020/760 final S. 3.

7 COM/2020/760 final S. 8.

8 Vgl. Erwägungsgründe 7 und 15.

9 Vgl. Art. 11 Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben.

10 Im Sinne der Lesbarkeit wird im Folgenden auf die Angabe der Normbezeichnung verzichtet.

11 Taeger, MarkenR 2023, 453 (454).

12 Erwägungsgrund 11.

13 Bühling/Jaeger-Lenz, IPRB 1012, 256 (260).

14 Allerdings ist schon jetzt Glview als Datenbank für geografische Angaben verfügbar: GIview (tmdn.org).