Dark Patterns – Das Ausnutzen von Verhaltensanomalien

Vitus Kirchner mit Unterstützung von Madita Haustein und Martin Bangard

„Ihr Produkt ist noch für 30 Minuten zu diesem Preis verfügbar“ – mit derlei Hinweisen wird Konsumenten auf Shopping-Websites häufig suggeriert, sie sollten eine endgültige Kaufentscheidung besser „sofort“ treffen, um das Geschäft ohne weiteres Zögern abzuschließen. Dabei handelt es sich nicht um klassische Werbemaßnahmen, sondern um die gezielte Verhaltensbeeinflussung durch die Gestaltung der Benutzeroberfläche einer Website. Auf diese Weise werden menschliche Entscheidungsschwächen der Konsumenten mit einem wirtschaftlichen Kalkül (aus)genutzt.

  1. Der Begriff der „Dark Patterns“

Die subtile Verhaltenssteuerung auf Shopping-Websites wird vornehmlich unter den Begriff der sog. Dark Patterns gefasst. Nach der klassischen Definition Brignulls sind darunter die ausgearbeiteten Gestaltungen einer Benutzeroberfläche gemeint, die ihre Adressaten so manipulieren sollen, dass diese Handlungen vornehmen, die ihren „eigentlichen“ Interessen zuwiderlaufen oder die sie sonst möglicherweise nicht vorgenommen hätten.[1] Entscheidend ist dafür letztlich, dass der Mensch kein rationaler Entscheider (homo oeconomicus) ist, sondern vielfach Verhaltensanomalien (Heuristiken und Biases) unterliegt und häufig spontan nach dem „Bauchgefühl“ entscheidet. Dark Patterns instrumentalisieren diese Verhaltensanomalien. Der Begriff der Dark Patterns ist dabei als Sammelbegriff für eine Vielzahl an verschiedenen manipulierenden Gestaltungen von Benutzeroberflächen zu verstehen.[2] Die weiteren Ausführungen konzentrieren sich insbesondere auf zwei Arten von Dark Patterns: Verweise auf die – vermeintliche – Knappheit eines Produktes (sog. Scarcity-Patterns) sowie Hinweise auf eine – vermeintliche – zeitliche Befristung eines bestimmten Angebots (sog. Countdown-Patterns).

  1. Schutz vor Dark Patterns nach dem UWG

Das Lauterkeitsrecht schützt neben den Mitbewerbern und dem Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb auch die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher, insbesondere ihre Fähigkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen.[3] Gerade diese Entscheidungsfreiheit droht von Dark Patterns unterlaufen zu werden. Im Folgenden werden daher einzelne Tatbestände des UWG dahingehend untersucht, wie sie den Verbraucher vor Dark Patterns (insbesondere Scarcity- und Countdown-Patterns) schützen.

  1. Unzulässigkeitstatbestände der „Schwarzen Liste“

Im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG werden geschäftliche Handlungen aufgeführt, die einem Verbraucher gegenüber stets unzulässig sind. Relevant wird hier vor allem das Verbot in Nr. 7 des Anhangs „die unwahre Angabe, bestimmte Waren oder Dienstleistungen seien allgemein oder zu bestimmten Bedingungen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum verfügbar, um den Verbraucher zu einer sofortigen geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, ohne dass dieser Zeit und Gelegenheit hat, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden“. Dieses Verbot soll vor einem Entscheidungsdruck schützen, der sonst möglicherweise in unüberlegten Kaufentscheidungen mündet. Scarcity-Patterns, die den Eindruck suggerieren, es gäbe eine Kapazitätsbegrenzung des Angebots, sowie Countdown-Patterns, die eine zeitliche Begrenzung des Angebots vorgeben, bauen genau diesen Entscheidungsdruck auf. Durch die Suggestion einer knappen Verfügbarkeit wird der wahrgenommene Wert und die Attraktivität des Produkts für den Verbraucher erhöht.

Der Wirkradius von Nr. 7 ist jedoch stark beschränkt. So verbietet er nur „unwahre“, das heißt objektiv unrichtige Angaben. Statistische Untersuchungen legen jedoch nahe, dass nur etwa die Hälfte aller Countdowns auf Shopping-Websites objektiv unrichtig sind.[4] Vielfach sind also Kapazitäts- und Zeitbegrenzungen zwar womöglich willkürlich, aber dennoch wahr. Countdown– und Scarcity-Patterns wirken auf Verbraucher aber unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, indem sie Dynamiken abseits der rational-ökonomischen Entscheidungsfindung anstoßen und so etwa Impulskäufe hervorrufen. Die Muster wirken dann nicht durch eine Täuschung, sondern durch eine emotionale oder auf Biases und Heuristiken zielende Steuerung. Deren Wirkungsweise vermag Nr. 7 nicht zu erfassen, sodass die Vorschrift das eigentliche Problem nicht adressiert.

  • Verbotstatbestand des § 4a UWG

Nach § 4a Abs. 1 S. 1 UWG werden „aggressive geschäftliche Handlungen“ untersagt, die den Betroffenen zu geschäftlichen Entscheidungen veranlassen, welche er „andernfalls nicht getroffen hätte“. Diese Bestimmung ähnelt stark der herkömmlichen Definition von Dark Patterns.[5] Im Sinne der Norm beeinträchtigen insbesondere Belästigungen, Nötigungen und unzulässige Beeinflussungen „die Entscheidungsfreiheit“ des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers.

Scarcity– und Countdown-Patterns können in diesem Zusammenhang eine „unzulässige Beeinflussung“ (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG) darstellen. Eine Beeinflussung folgt daraus, dass der Anbieter einer Shopping-Website durch die Gestaltung der Benutzeroberfläche aus einer Machtposition heraus Druck auf den Verbraucher ausüben und ihn zu uninformierten Entscheidungen bewegen kann.[6] Allerdings ist nicht jede Beeinflussung eine aggressive geschäftliche Handlung. Vielmehr muss sie zusätzlich unzulässigen Druck aufbauen, der geeignet ist, den Adressaten erheblich zu beeinflussen (§ 4a Abs. 1 S. 3 UWG). Wann diese Grenze überschritten ist, hängt insbesondere davon ab, welche Resistenz der Adressat externen Einflüssen gegenüber haben muss, um dem Anreiz zu widerstehen. Dies führt schließlich zu der Frage, welches Verbraucherbild dem Lauterkeitsrecht zugrunde liegt. Der Unionsgesetzgeber scheint von einem „angemessen gut unterrichtet[en] und angemessen aufmerksam[en] und kritisch[en]“ Verbraucher auszugehen.[7] Einen solchen durchschnittlichen Verbraucher beeinträchtigt eine Handlung erheblich, wenn sie bei ihm die „Rationalität [einer] Entscheidung vollständig in den Hintergrund treten“ lässt.[8] Konkretisierende Hinweise darauf, wann eine Handlung „aggressiv“ ist, hat der Gesetzgeber in der nicht abschließenden Aufzählung des § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1–5 UWG verankert. Für Scarcity– und Countdown-Patterns bietet die Aufzählung aber nur den Hinweis, die situativen Umstände, also „Art oder Dauer“ (Nr. 1) der zu untersuchenden Handlung, wertend einzustellen.

  • Verbotstatbestand des § 5 UWG

Im Rahmen von § 5 UWG ist mit Blick auf Dark Patterns vor allem § 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 UWG relevant („sonstige zur Täuschung geeigneten Angaben“). § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG („wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit“) kann etwa Formen von Scarcity– und Countdown-Patterns erfassen, welche eine knappe Verfügbarkeit von Leistungen nicht behaupten, sondern lediglich suggerieren. Es genügt dabei die Vermittlung einer Vorstellung, die nicht mit der objektiven Realität übereinstimmt.[9] Als Beispiel kann ein Countdown angeführt werden, der nicht erkennen lässt, was nach Ablauf der Zeit geschehen wird. Zu beachten sind in diesem Kontext jedoch die hohen Hürden durch die Beweisanforderungen. In der Rechtsprechung wird eine Handlung regelmäßig erst dann als irreführend eingestuft, wenn sie bei ca. 20-25 % des adressierten Verkehrskreises Wirkung zeigt.[10]

  1. Zwischenergebnis

Die lauterkeitsrechtlichen Regelungen adressieren in Teilen auch die verhaltenssteuernden Wirkungen von Dark Patterns. Allerdings wird die von der objektiven Richtigkeit unabhängige Ausnutzung von Verhaltensanomalien etwa von Nr. 7 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG gerade nicht erfasst. Der Verbotstatbestand des § 4a UWG erfährt insbesondere durch das dem Lauterkeitsrecht zugrunde zu legende Verbraucherbild eine wichtige Einschränkung. Im Rahmen des § 5 UWG sind zudem die Beweisanforderungen zu berücksichtigen. Verbraucher werden durch das Lauterkeitsrecht demnach nicht vollumfänglich vor den Besonderheiten von Dark Patterns und dessen Wirkungen geschützt.

  1. Schutz vor Dark Patterns nach dem DSA

Auf europäischer Ebene wird für Dark Patterns ein eindeutiger Regelungsbedarf gesehen.[11] Insbesondere im Digital Services Act (DSA) sind spezifische Regelungen von Dark Patterns zu finden.[12] 

Für Online-Plattformen normiert Art. 25 Abs. 1 DSA, dass diese „ihre Online-Schnittstellen nicht so konzipieren, organisieren oder betreiben [dürfen], dass Nutzer getäuscht, manipuliert oder anderweitig in ihrer Fähigkeit, freie und informierte Entscheidungen zu treffen, maßgeblich beeinträchtigt oder behindert werden“. Damit sollen explizit Dark Patterns erfasst werden.[13] Eine zentrale Frage wird bei der Anwendung der Norm aber sein, unter welchen Voraussetzungen angenommen werden kann, dass die Entscheidungsfähigkeit „maßgeblich beeinträchtigt oder behindert“ wurde. Die Erwägungsgründe definieren den Begriff „maßgeblich“ nicht. Klar ist nur, dass nicht jede Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit ausreichen kann.[14] Dennoch wird deutlich, dass der EU-Gesetzgeber den Schutz der Nutzer erhöhen und die Ausnutzung von Entscheidungsschwächen der Nutzer verhindern will.

  1. Fazit

Durch die herkömmlichen gesetzlichen Regelungen des UWG sind Verbraucher bislang nur unzureichend geschützt worden. Das häufige Vorkommen von Dark Patterns im Geschäftsverkehr unterstreicht das Bestehen dieser Problematik. Inwiefern die Neuerungen des DSA nun Abhilfe schaffen können ist fraglich. Das Ausfüllen des denkbar weiten Tatbestand des Art. 25 Abs. 1 DSA wird nun Aufgabe der Rechtsprechung sein. Gleichzeitig würden wohl spezifischere Regelungen den zahlreichen Variationen an Dark Patterns nicht gerecht werden. Dennoch ist zu erwartet, dass durch das klare Bekenntnis des DSA gegen entsprechende Methoden mittelfristig das Schutzniveau für Nutzer erhöhen wird.


[1] Brignull/Darlo, Dark Patterns – Types of Dark Pattern, abrufbar unter: darkpatterns.org/types-of-dark-pattern, auch mit einer Beispielsammlung (zul. abgerufen am 19.12.2023).

[2] Ein Überblick sowie eine Kategorisierung der verschiedenen Dark Patterns findet sich bei ZfDR 2021, 47 (52).

[3] MüKoUWG/Sosnitza, 3. Aufl. 2020, UWG § 1 Rn. 27 mit Verweis auf Art. 2 lit. e, k UGP-RL.

[4] https://arxiv.org/pdf/1907.07032.pdf, Proc. ACM Hum.-Comput. Interact., Vol. 3, No. CSCW, Article 81:2. Publication date: November 2019 (zuletzt abgerufen am 14.12.2023).

[5] ZfDR 2021, 47, 66.

[6] VuR 2022, 123) (126).

[7] ErwGr 18 S. 2 UGP-RL

[8] BGH GRUR 2014, 1117 (1119); BGH GRUR 2015, 1134 (1134).

[9] Vgl. Art. 2 Nr. 2 Irreführungs-RL, § 5 Abs. 1 S. 2 UWG.

[10] BGH NJW 2004, 439 (440); OLG München PharmR 2005, 181 (185 f.); OLG Frankfurt/M. MMR 2009, 553 (554).

[11] Die EU-Kommission hatte etwa Booking.com schon 2019 in die Pflicht genommen, zukünftig bestimmte Design-Techniken zu unterlassen, s. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 20. Dezember 2019, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_19_6812 (zuletzt abgerufen am 19.12.2023).

[12] Siehe zu diesen insbesondere EDPB, Guidelines 3/2022 on Dark patterns, 2022, abrufbar unter: https://edpb.europa.eu/our-work-tools/documents/public-consultations/2022/guidelines-32022-dark-patterns-social-media_en

[13] Erwägungsgrund 67 DSA.

[14] MMR 2023, 243.